Franziskustexte

– durch die psychologische bzw. sozialethische Brille betrachtet

Höchster, glorreicher Gott,
erleuchte die Finsternis meines Herzens
und schenke mir rechten Glauben,
sichere Hoffnung und vollkommene Liebe.
Gib mir, Herr, das rechte Empfinden und Erkennen,
damit ich deinen heiligen und wahrhaften Auftrag erfülle.
Amen.

Das Gebet des jungen und niedergeschlagenen Franziskus, nachdem sein bisheriges Lebensideal – ein Leben als ruhmreicher Ritter – nach Niederlage und Gefangenschaft in sich zusammengebrochen war. Heute würden wir vielleicht von einem Trauma, von einer Anpassungsstörung oder von Depression sprechen. Welch ein passendes Bild ist doch „die Finsternis des Herzens“ für das, was sich in einem depressiven Menschen abspielt: sich in Dunkelheit zu erleben, trotz des Wissens, dass es hell ist, aber selbst keinen Zugang zu diesem Licht zu finden.

Franziskus erfleht das paulinische Fundament aus dem ersten Korintherbrief: Glaube, Hoffnung, Liebe. Und seine Verzweiflung spiegelt sich darin wider, dass er auch noch Adjektive hinzufügt, um auszudrücken, dass es ihm um Alles geht: nicht irgendein Glaube – nein, den rechten, den richtigen Glauben; nicht irgendeine Hoffnung – nein, die sichere, die sich auch erfüllt; nicht irgendeine Liebe – nein, die vollkommene.

Franziskus will das Ganze, die Superlative, in aller Radikalität. Es erinnert an das Schwarz-Weiß-Denken junger idealistischer Erwachsener, die erst im Laufe ihres weiteren Lebens erfahren, dass sich menschliches Dasein in verschieden abgestuften Grautönen abspielt. Das Vollkommene ist dem Göttlichen vorbehalten. Sich menschliche Unzulänglichkeit – insbesondere die eigene – einzugestehen, sie zu ertragen und sie (sich) zu verzeihen, ist ein langer, oft auch schmerzlicher Prozess, der schließlich in eine Art Altersweisheit mündet.

Franziskus will alles auf diese eine Karte setzen und bittet um die Erkenntnis des Gotteswillens für sein Leben. Keine Irrtümer, keine falschen Ideale, kein Scheitern mehr! Von Gott erhofft er Licht, Erleuchtung, Perspektive, um der depressiven Dunkelheit zu entfliehen.

Wo Liebe ist und Weisheit, da ist nicht Furcht noch Unwissenheit.
Wo Geduld ist und Demut, da ist nicht Zorn noch Verwirrung.
Wo Armut ist mit Fröhlichkeit, da ist nicht Habsucht noch Geiz.
Wo Ruhe ist und Betrachtung, da ist nicht Aufregung noch unsteter Geist.
Wo die Furcht des Herrn ist, sein Haus zu bewachen, da kann der Feind keinen Ort zum Eindringen finden.
Wo Erbarmen ist und Besonnenheit, da ist nicht Überfluss noch Verhärtung.

Hier geht es weniger um ein Schwarz-Weiß-Denken als um einen immerwährenden Prozess des sich Korrigierens und Ausbalancierens; ein innerer Reflektions- und Reifungsprozess. All das müsste mit Glauben gar nicht viel zu tun haben und könnte so oder ähnlich auch einer fernöstlichen Weisheit entsprungen sein, wenn Franziskus diese Gegenüberstellungen im fünften Satz nicht mit Gottes(ehr)furcht und Gottvertrauen verknüpft hätte.

Eine wunderbare Anleitung zu Selbstreflektion auf dem Weg zu innerem Wachstum: welche Züge entdecke ich da an mir, die einem erfüllten (Glaubens)Leben entgegenstehen, und in welchen Stärken, Ressourcen finde ich Abhilfe?

Über diese innerpsychischen Prozesse hinaus gibt uns Franziskus aber auch Orientierung für gelingendes gesellschaftliches Leben. Und auch hier wiederum ist seine Zeitlosigkeit frappierend. Nehmen wir das Beispiel der Querdenker-Bewegung, die sich in Frucht, Zorn und Unwissenheit wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließt – hier könnten Liebe und Weisheit aber auch Geduld und Demut (auch auf Seiten der Gegenposition) Entwicklung herbeiführen. Oder aber unser auf Verschwendung von Ressourcen und Nahrungsmitteln basierender Lebensstil: Mitgefühl mit denen, die nicht im Überfluss leben und überlegtes, besonnenes Handeln könnten den globalen Fortbestand der ganzen Schöpfung retten.

Franziskus, kein verstaubter Heiliger und „Moralapostel“, sondern nach 800 Jahren immer noch hochaktuell und wegweisend – ganz verletzbarer Mensch und ganz Vorbild.

Elke Hahn, Vivere Fulda