„Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben: Wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“
Es war wie gerade jetzt in der Coronakrise: Stay home. Bleibt zuhause. Da saßen sie also alle zusammen hinter verschlossenen Türen, abgeriegelt von der Welt draußen, gefangen in ihrer Angst und Trauer. Die Nachrichten von der Auferstehung Jesu hatten sie zwar erreicht, aber viel mehr verunsichert als getröstet. Wie weggeblasen war die Erinnerung an das, was er ihnen über seinen Tod und seine Auferstehung gesagt hatte. Zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschmolzen waren die Erwartungen, die sie vor seinem Tod noch gehabt hatten. Ihnen war nichts geblieben als immer wieder sich zusammenzutun und gemeinsam ihr Entsetzen, ihre Traurigkeit und ihre Angst auszusprechen. Verschlossen die Türen und verschlossen der Weg ins Leben. Aber: Licht und Zeit – das sind die ersten Schöpfungswerke. Für die Jünger hinter den verschlossenen Türen und Fenstern bleibt es jedoch dunkel, buchstäblich und innerlich. Zeit hat an Bedeutung verloren. Sie gehen auf nichts mehr zu, freuen sich nicht. Zukunft gibt es nur noch als Angst vor dem, was von draußen auf sie zukommen könnte.
Aber mit diesem Tag beginnt unerwartet das Leben neu. „Am Abend dieses ersten Tages der Woche kam Jesus und trat in ihre Mitte.“ Das Leben selbst tritt ein, durch verschlossene Türen, mitten hinein in die Angst und Leere, die sich lähmend ausgebreitet hat. Jesus, das Leben, kommt. Und sagt, was seine wichtigste Botschaft ist: „Friede sei mit euch.“
Was ist geschehen an diesem Abend des ersten Tages der Woche? Es ist das geschehen, was am Anfang war und immer wieder sein wird: Gott schafft aus dem Nichts etwas Neues. Im Anfang war die Erde wüst und leer, bevor Gottes Geist über den Wassern die Schöpfung in Gang setzt. Am Anfang der neuen Schöpfung steht wieder das Nichts, die absolute Leere des Todes, die Gott-Ferne, in die sich Gott selbst begibt, um neues Leben zu schaffen. So ist es auch an diesem Abend. Da, wo die Jünger nichts mehr wissen und nichts mehr zu hoffen wagen und sich das Nichts ausbreitet, da ist der Raum, den Jesus füllen will. Unbemerkt tritt er ein und bringt den Frieden, schenkt den Geist, der Leben schafft inmitten der Welt, in der immer noch Angst und Tod herrschen.
Das ist kein einfacher Gedanke. Vielleicht auch einer, der sehr fremd wirkt oder Angst macht. Was dahinter steckt, wird deutlich an einem Gebet aus den vergangenen Tagen, die in besonderer Weise der Bitte um den Heiligen Geist gewidmet waren. Dort heißt es in einer alten Sequenz:
„In der Unrast schenkst Du Ruh, hauchst in Hitze Kühlung zu, spendest Trost in Leid und Tod.“ Das Tröstende liegt im Wörtchen „in“: Also: nicht nach der Unrast Ruhe; nicht nach der Hitze Kühlung; nicht nach Leid und Tod der Trost. Nein: Mitten in diesen unerträglichen Situationen gibt uns Gottes Geist eine geheimnisvolle Kraft und Stärke. Das ist die Erfahrung, die die Jünger machen in ihrer verriegelten, abgeschlossenen Situation: Mitten darin kommt der Herr und sagt: „Friede sei mit euch!“ Er stärkt sie durch seine Gegenwart. Er macht sich ihnen selbst begreiflich durch die Erinnerung an sein Leiden und seine Auferstehung.
In der christlichen Mystik gibt es die Vorstellung, dass der Mensch sein Leben dem Kuss Gottes verdankt. Was soll es denn auch anderes sein, wenn Gott uns den Atem des Lebens eingehaucht hat? Atem und Geist – das ist in der Bibel dasselbe Wort. Auch uns gilt, was die Jünger damals erfahren haben: Es gibt ein neues Leben, das entsteht, wo wir uns loslassen und ihm überlassen, der in unsere Leere eintritt und uns den Frieden schenkt. Wir werden neu geschaffen: So, wie Gott seinen Atem in den ersten Menschen geblasen hat, um ihm Leben zu geben, so be-atmet und be-geistert er alle, die zu ihm gehören.
Das geschieht auch in diesen Tagen und Wochen, an denen sich eine seltsame Lähmung über alle und alles gelegt zu haben scheint. Gerade in diesem Jahr stellt uns Pfingsten vor Augen, dass zwar ein tödlicher Virus die ganze Welt in Atem hält. Aber heute wird uns auch verkündet. „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis. In ihm hat alles Bestand. Nichts bleibt verborgen in ihm (Weish 1,7).“ Darauf begründet sich unsere Hoffnung. Sie ist stärker als die Furcht vor der Pandemie.
So möge das geschehen, was der verstorbene rheinische Dichter und Kabarettist H.D. Hüsch verspürt hat:
Und er (Gott) schickt seit Jahrtausenden
Den Heiligen Geist in die Welt
Dass wir zuversichtlich sind
Dass wir uns freuen
Dass wir aufrecht gehen ohne Hochmut
Dass wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken
Und im Namen Gottes Kinder sind
In allen Teilen der Welt
Eins und einig sind
Und Phantasten dem Herrn werden
Von zartem Gemüt
Von fassungsloser Großzügigkeit
Und von leichtem Geist.
Br. Hermann Schalück ofm
schalueck@t-online.de