Impulse

Vermächtnis

Diese Besinnung zum 5. Sonntag im Jahreskreis B hat Pater Hermann Schalück noch in der Woche vor seinem Tode geschrieben.

Mk 1 29-39
29 Sie verließen sogleich die Synagoge und gingen zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. 30 Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie spra-chen sogleich mit Jesus über sie 31 und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie diente ihnen. 32 Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. 33 Die ganze Stadt war vor der Haustür ver-sammelt 34 und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu sagen, dass sie wussten, wer er war. 35 In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. 36 Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, 37 und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. 38 Er ant-wortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkünde; denn dazu bin ich gekommen. 39 Und er zog durch ganz Galiläa, verkündete in ihren Synagogen und trieb die Dämonen aus.

Diese Besinnung hat (†) Pater Hermann Schalück noch in der Woche vor seinem Tode geschrieben und für heute bereitgestellt. Wir dürfen sie lesen und bedenken als sein letztes Geschenk an uns.

Zwei Formen von Heilungen werden heute im Evangelium berichtet. Zuerst die der Schiegermutter des Petrus, übrigens das erste weibliche Wesen, das im Markus-Evangelium erwähnt wird. Man kann sich ja fragen, warum das überhaupt – und dann eher beiläufig– erwähnt wird. Aber wie bei allen Krankenheilungen, die in den vier Evangelien beschrieben werden, geht es nicht um medizini-sche Berichte. Es sind aber auch keine Phantasieprodukte aus vorwissenschaftlicher Zeit. Immer steckt etwas Tieferes dahinter. Diese Berichte sind Glaubenszeugnisse von Menschen, die von Jesus fasziniert waren und die aufgeschrieben haben, wie er den Menschen begegnet ist und wel-che Kraft und Hoffnung von ihm ausging. Wenn wir uns diese Texte heute richtig erschließen, dann können auch wir wichtige Anstöße zum Glauben und zum Leben mitnehmen.

Zunächst also zum Fieber der Schwiegermutter. Es gibt eine interessante Deutung, die ich Ihnen kurz vortragen möchte. Danach ist dieses scheinbar normale Fieber das Bild für einen nicht norma-len Seelenzustand. Die Frau, so heißt es in dieser Erklärung, leide fürchterlich darunter, dass ihr Schwiegersohn, Petrus, die Familie verlassen und seine Unterhaltspflicht an den Nagel gehängt habe. Das stehe auch bildhaft für den Ärger und das Unverständnis über Jesus selber. Denn der hatte den Petrus ja doch zuerst überhaupt eingeladen, seine Familie zu verlassen und mit ihm zu ziehen. Eine ordentliche Schwiegermutter kann auf all das tatsächlich nur mit Ablehnung reagieren. In ihr kocht es also. Sie „fiebert“ vor innerer Anspannung. Sie nimmt es Jesus übel, dass er Unord-nung in ihre Familie gebracht hat. Indem Jesus zu ihr tritt und ihr die Hand auf die Stirn legt, beginnt sie ruhig zu werden und sich mit ihrem Schwiegersohn und mit Jesus und mit sich selbst zu versöh-nen. In der direkten Begegnung mit Jesus gibt sie ihren Ärger und ihre Opposition auf.

Und was kann uns das heute sagen? Ich meine, wir könnten uns im Blick auf diese Szene einmal fragen: „Könnte es nicht auch bei mir so sein, dass sich in mir Ärger und Opposition aufbauen, weil ich nicht sehen kann, dass vieles, was mich krank vor Ärger macht, von dem ich auch nicht selten annehme, dass Gott selber es mir in ungerechter Weise zumutet, dass das also meiner eigenen Ungeduld, meinem eigenen aggressiven Urteil über andere und auch über Gott zuzuschreiben ist? Könnte nicht auch manches von dem, was mir momentan zu schaffen macht, sich doch eines Tages als Teil eines größeren sinnvollen Zusammenhanges erweisen? Könnte es nicht sein, dass das, was wir heute gern humorvoll oder sarkastisch „das ganz normale Chaos unseres Lebens“ nennen, nämlich Hektik, das unablässige Spaß-Haben-Wollen, die Überarbeitung, der burn-out, unsere in-neren Anspannungen aus Neid und Konkurrenzgefühlen wie eine schleichende Krankheit sind, wie ein Fieber, das wir dann erst bemerken, wenn wir innerlich freien und gelassenen Menschen be-gegnen, so wie Jesus einer war? Wäre es nicht denkbar, dass wir gesunden könnten, wenn sich eine Hand auf unsere Stirn legte und unsere Gedanken zur Ruhe kämen und wir merkten, dass wir nur auf der Flucht sind – am meisten vor uns selber? Wer von uns brauchte nicht zuweilen die Hei-lung von der Angst, und wer von uns bedürfte nicht gelegentlich eines verständigen Menschen, der uns hilft, uns innerlich zu entgiften und zu entschleunigen, unsere Gedanken und Gefühle zu entwirren und zu ordnen, ja unser Leben auf ein neues Fundament zu stellen? Und auch dies ist noch interessant: Kaum geheilt, macht sich die Schwiegermutter daran, Jesus, ihren Schwiegersohn Petrus und alle anderen freundlich und gastlich zu bewirten. Das ist meines Erachtens nicht einfach der Eifer einer Frau, die in einem patriarchalischen Verständnis der Familie nach überstandener Krankheit sich wieder in Unterordnung am Herd und in der Familie zu schaffen macht. Vielmehr tritt sie mit ihrer Heilung auf Augenhöhe – als Gastgeberin für Jesus - mit diesem in den Kreis derer ein, die mit ihm und seiner Bewegung gehen wollen. Sie hat Vertrauen gefasst. Sie hat auch zu sich selbst zurück gefunden.

Des Weiteren ist im heutigen Evangelium auch noch davon die Rede, dass Jesus Dämonen austrieb. Auch dieser Aspekt, so fremd und archaisch er klingen mag, kann uns einiges über unser Leben und unseren Glauben heute sagen. Wir sprechen zwar viel lieber von psychischen Defekten als von Dämonen, gehen eher zum Psychiater als in den Beichtstuhl. Aber der Zustand, dass alle Plätze im Kopf und in den Herzen besetzt sind von zerstörenden Mächten, dieser Zustand dürfte uns nicht unbekannt sein. Es gibt eben auch heute ungute Kräfte, die Macht über alle Menschen haben. Sie äußern sich unter anderem als ein Chaos in der Seele, als neurotische, und das heißt zwanghafte Verhaltensweisen und Lebensmuster. Es sind Geister, die das Denken und Fühlen und Empfingen trüben, die uns sozusagen unsere Mitte, unser Gleichgewicht verlieren lassen, so dass Menschen – wie man ja gern sagt – nicht mehr wissen, was und wer sie sind, dass sie gleichsam „neben sich selbst stehen“, also gespalten sind.
 
Wer hätte nicht den Wunsch, endlich den Kopf und das Herz wieder frei zu bekommen, um sinnvoll leben zu können. Endlich nicht mehr nur fremdbestimmt funktionieren zu müssen, sondern eigen-ständig gestalten zu können; endlich gesagt zu bekommen, dass man nicht alles, jetzt und sofort leisten muss. Andere modernen bösen Geister hindern uns auf dem Weg zur inneren Freiheit, indem sie uns einreden: das kannst Du nicht. Das darfst Du nicht. Du musst dich verstecken und ducken.
Fragen wir uns also gelegentlich:
•    Wo halte ich mich die meiste Zeit mit meinen Gedanken und Vorstellungen auf?
•    Was hält mich gefangen? Was hat Macht über mich?
•    Wie gehe ich mit meinen Wünschen und Trieben um?
•    Kann ich sie einordnen oder tyrannisieren sie mich und andere?
•    Was lässt mich nicht zur Ruhe kommen?
•    …

Zusammenfassend möchte ich sagen:
Jesus heilte vom Fieber und er trieb Dämonen aus. Das heißt: jeder Mensch soll frei sein; fähig, mit dem Schönsten, Heiligsten, Sinnvollsten Bekanntschaft zu machen, auf das er oder sie das Leben aufbauen möchte. Wir sollen innerlich frei ohne Verzerrungen, ohne Angst und Zwang Gott ge-genüber treten, ihm begegnen, zu ihm beten. Das Wort, das wir in jeder Eucharistie beten, hat dann einen tiefen Sinn: Herr, sag auch mir nur ein Wort, dann bin ich gesund.
(†) Hermann Schalück ofm

in: Sonntagsgedanken online
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