Texte der Bibel sind nicht immer auf Anhieb zu verstehen. Daher gibt es in vielenG emeinden Menschen, die sich treffen, um Gottes Wort zu lesen.Die Mitglieder der Gruppe Vivere im Kloster Ohrbeck wollen sogar noch mehr.
VON STEFAN BUCHHOLZ
Während Andrea Bruns die Raummitte mit Tuch, Bibel und Blumen sowie Kerzen und dem franziskanischen Kreuz
drapiert, begrüßen sich Frauen und Männer und helfen beim Aufstellen der Stühle zu einem Kreis. Mehr braucht es
für die Vivere-Gruppe erst mal nicht. Es reicht, um einfach anzukommen und anzufangen. Mit dem Vaterunser. Es
folgt ein Impuls im Geist franziskanischer Spiritualität, dem verbindenden Element der Gruppe. „Damit wir auch
etwas über das Leben von Franz und Klara von Assisi und ihre Praxis erfahren“, erklärt Andrea Bruns, eine der
Koordinatorinnen. Es gehe darum, das, was die beiden Heiligen vorgelebt hätten, in den Alltag zu übertragen.
Klingt kompliziert? Ist es aber nicht, weil in der Gruppe keine Erfolgsbilanzen abgefragt oder Bekenntnisse abgelegt
werden. Es muss nicht nachgewiesen werden, wie erfolgreich oder weniger gut man zwischen den monatlichen
Treffen Franziskus und Klara von Assisi nachgeeifert hat. Es interessiert beim Bibelteilen auch niemanden, was der
Einzelne etwa beruflich oder privat darstellt. „Das gefällt mir an der Gruppe richtig gut“, sagt Peter Molitor.
Er kam kurz nach Gründung von Vivere im Kloster Ohrbeck im Herbst 2016 dazu. Sein Motiv: „Wenn ich das
Evangelium allein lese, ist das manchmal ziemlich schwer zu verstehen. Ich habe eine Gruppe gesucht, in der man es
zusammen liest und sich darüber austauschen kann.“
Anderen von den eigenen Gedanken erzählen
Diesmal geht es in der Vivere-Gruppe um die Versuchung Jesu (Matthäus 4,1-11). Der Text liegt
allen vor, einmal liest ihn Andrea Bruns vor. Dann kann jeder aus der Gruppe eine Bibelstelle
zitieren, die ihm aufgefallen ist. „Wir können das Gesagte noch einmal auf uns wirken lassen und
überlegen, was das für unser Leben bedeutet. Und wer mag, kann uns an seinen Gedanken
teilhaben lassen“, sagt Andrea Bruns.
Immer ist dabei Zeit, den Gedanken der anderen und den eigenen nachzuhören. Was bedeutet die
Wüste, fragen sich die Teilnehmer. Ein Ort, um der Reizüberflutung zu entgehen? Bringt derMinimalismus einer Wüste Antworten, auf die man im eigenen Leben nicht gestoßen wäre? Wie positiv ist es heute,
Versuchungen nachzugeben?
Selbst die Angst, ob das, was man sagen möchte, womöglich als falsch bewertet würde, kann geäußert werden.
Andrea Bruns versichert: Bibelteilen bedeute, dass sich jeder das nehmen kann, was er von den anderen bekommt.
Oder auch nicht. Alles ist wichtig, alles ist richtig – lautet der Grundsatz der Gruppe. Sie ist eingebunden in den
Verbund anderer Gruppen in ganz Deutschland. Die noch junge Organisationsform rund um die franziskanische
Spiritualität entstand 2015 auf Anregung des Ordens. Dahinter stand die Überlegung, was sein wird, wenn es
irgendwann einmal keine Novizen bei den Franziskanern geben sollte. „Dann soll auf jeden Fall sichergestellt sein,
dass der Gedanke in den Gruppen weitergetragen wird“, erklärt Andrea Bruns.
In Ohrbeck ist ab und an auch Bruder Thomas Abrell Teil der Ohrbecker Vivere-Gruppe. Geleitet wird sie aber nicht
von ihm. „Es war der Wunsch bei den jährlichen Bundestreffen der einzelnen Regionalgruppen, dass wir
Leitungsfunktionen übernehmen sollten“, erinnert sich Abrell. Aber das widerspreche ja dem Grundgedanken, dass
sich die Gruppen (vielleicht irgendwann) ohne Franziskaner etablieren müssen.
Kontakt zu der Gruppe per E-Mail: Vivere-Ohrbeck@gmx.de
Quelle: Kirchenbote Osnabrück, 26/2019