Br. Hermann Schalück ist am 26.01.2024 verstorben

Wir Vivere Geschwister haben einen Bruder, Mentor und Freund verloren. Wir gedenken der vielen freundschaftlichen, spirituellen und lehrreichen Momente mit ihm.

Ein Nachruf von Ulrich Rau und der Vivere-Gruppe Rheinland.

Pater Hermann Schalück

Foto: Stephanie Schaerer

Br. Hermann war einer der  „geistigen Väter“ der Vivere Bewegung und ihr wesentlicher Initiator. Er hat bereits auf dem Provinzkapitel der Franziskaner im Jahr 2013 angestoßen, dass sich der Orden mit der Frage beschäftigen solle, wie man neue Formen der Teilhabe von Frauen und Männern an der franziskanischen Lebensform finden könne. Nach Findungstreffen in Ohrbeck und auf dem Hülfensberg in 2015 ist daraus unsere Vivere Bewegung mit den vielen Regionalgruppen entstanden, wie wir sie heute kennen.

Br. Hermann wohnte zur Gründungszeit im Bonner Konvent der Franziskaner in Bad Godesberg. In der Rheinlandgruppe von Vivere, aber auch überregional, hat sich Br. Hermann vielfältig eingebracht. Mit seiner prophetischen Weitsicht, aber auch manchmal mit seiner Ungeduld, wenn es nicht vorwärtsging, hat uns Br. Hermann begleitet und unterstützt.
Bis zuletzt nahm Br. Hermann an unseren Aktionen aktiv teil,  zuletzt als Referent beim Vivere Online-Studientag „8 von 800 – 8 Jahre Vivere und 800 Jahre Ordensregel“.
Wir teilten regelmäßig das Mahl und das Wort Gottes und zogen uns einmal pro Jahr zu einem Exerzitien-Wochenende zurück. Das Bild entstand bei einem Aufenthalt in Neustadt/Weinstraße.
Br. Hermann war dabei wichtig, dass er nicht als Pater angesehen wurde, sondern als einer von uns, auf Augenhöhe, ein Suchender wie wir auf dem Weg der Nachfolge Jesu.
Seit Br. Hermann in Paderborn lebt, sahen wir ihn zwar seltener, er war bei unseren Treffen aber immer gegenwärtig. Einigen von uns war er bis  zuletzt ein vertrauter Gesprächspartner und Ratgeber.

Anlässlich unseres fünften Jahrestreffens haben wir dieses kleine Jubiläum gefeiert. Wer hätte zu Beginn unserer Vivere Bewegung gedacht, dass wir dies so selbstverständlich feiern werden? Aus einen kleinen Trieb am Baum der franziskanischen Familie ist Vivere in dieser Zeit zu einem ansehnlichen Zweig gewachsen.

Br. Hermann war einer der Laudatoren, die dieses Jubiläum gewürdigt haben. Hier seine Worte, die aktueller sind, denn je:

Liebe Schwestern und Brüder von Vivere – Pax et Bonum!

In drei Punkten möchte ich heute Abend weniger von der Gründung unserer Bewegung sprechen, sondern von ihrer tieferen Begründung.
Zunächst: Das Erbe der Franziskanischen Bewegung schenkt der Welt und der Kirche das Modell einer Autorität, die, wie das Beispiel von Franziskus und Klara zeigt, eine sowohl männliche wie auch eine weibliche Ausprägung hat. Es durchdringen sich dabei die Züge einer väterlichen Ausdrucksform von Autorität mit Hinweisen auf die mütterliche Art der Fürsorge. Im „Brief an alle Gläubigen“ erklärt Franziskus, dass alle Gläubigen Söhne und Töchter des himmlischen Vaters sind, dessen Werke sie tun. Sie sind wie Verlobte, wenn sie sich mit Jesus verbinden. Sie sind Brüder, wenn sie den Willen des Vaters tun. Sie sind Mütter, wenn sie Christus im Herzen und im Leibe tragen. Dabei entsteht eine Beziehung, die geschwisterlich und familiär ist, weil alle Söhne und Töchter desselben Vaters und Brüder und Schwestern Jesu sind.

Wenn die Berufung unter dem Impuls des Geistes gelebt wird, entsteht eine große Vertrautheit. In seiner nicht bestätigten Regel legt Franziskus unter dem Aspekt der Mütterlichkeit ein Lebensmodell vor. Er unterstreicht dabei die Notwendigkeit vertrauensvoller Beziehungen und gegenseitiger Achtsamkeit: Vertrauensvoll einer dem andere seine Not offenbaren, damit er ihm das Notwendige ausfindig mache und verschaffe. Und jeder liebe und ernähre seinen Bruder, wie eine Mutter ihren Sohn liebt und ernährt. Geschwisterlichkeit drückt sich für Franziskus also in der mütterlichen Liebe aus, einer Liebe, die Leben entstehen und wachsen lässt. Diese Berufung verwirklicht jeder durch seine Eingliederung in die Kirche und in eine konkrete Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern, indem er sein Leben für die anderen einsetzt. So tat es auch Jesus, als er den Jüngern die Füße wusch und ihnen die Eu-charistie schenkte.  Er hat sein Leben für die Menschen eingesetzt. Die Kirche und ihre Gemeinschaften, also auch Vivere, wachsen beständig da, wo man dieses Geheimnis des „Lebens“ feiert.

Der zweite Punkt: Wie können wir heute von Gott und seinem Wirken unter uns reden? Das ist keine abstrakte philosophische und theologische Frage. In Afrika habe ich gehört: Wenn du sagen willst wer Gott ist, dann nimm ein Brot, brich es und teile es aus.  Die Erfahrung Gottes ist immer mittelbar, d. h. vermittelt durch die Art und Weise, wie Christinnen und Christen ihre Beziehungen gestalten. Wenn wir also heute gefragt werden, woraus wir denn leben und welches Bild von Gott und von Jesus wir in uns tragen, dann sollten wir auf die neutestamentliche Beschreibung des Weges Jesu (Phil 2) hinweisen, eines Weges, der auch für Franziskus bestimmend war. Es ist der Weg des Hinabsteigens von oben nach unten, ein Weg der Gewaltlosigkeit und der Gefährtenschaft mit der ganzen Schöpfung.  Diese Spiritualität ist heute eine wichtige Voraussetzung für Dialog- und Beziehungsfähigkeit. Sie bedroht niemanden, sei es mit Ideologie, Macht oder Besserwisserei. Sie äußert sich nicht in moralisierendem Reden, sondern zuallererst im Hören und Verstehen wollen. Sie ist offen für die Lebens-, Leidens- und Glaubenserfahrungen unserer Zeitgenossen. Sie ist auf dem Weg wie die Jünger von Emmaus, mit ihren eigenen Zweifeln und Dunkelheiten.  Aber der verwundete Jesus ist auch bei ihnen. Er erschließt uns die Schrift, im Brot-brechen sagt er uns wer er ist. Und dann verstehen wir ein wenig, welch „wunderbare“ Wendungen Krisen, die ja auch ein Teil von Vivere sind, nehmen können. Ich halte es mit Max Frisch, der gesagt hat: Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Oder mit Ernst Pestalozzi: Zweifeln ist Suche, nicht Ratlosigkeit.

Zum Schluss: Als ich noch in Rom war, habe ich für unseren Orden ein kleines Bändchen zum Thema Mission und Evangelisation verfasst. Es hat den Titel „Zwischen Erinnerung und Prophetie“. Es möchte zeigen, dass wir dem Geist Gottes vertrauen sollten, wenn wir uns als Franziskanische Bewegung auf dem Weg in die Zukunft machen. Ich beschließe den Text – und auch meine Einführung heute – mit diesem Gebet zum Heiligen Geist:
 
Wir bitten Dich, Gott um Deinen Geist heute.
Er sei uns wie ein helles, leuchtendes Feuer,
dass unsere Dunkelheit erhellt und unsere Liebe neu entfacht.
Er sei uns wie ein kühlender Hauch, der uns tröstet und in unserer Sorge um die Zukunft besänftigt.
Er sei uns wie eine kräftige Brise, in der wir mutig unsere Segel setzen und neuen Horizonten zusteuern.
Er sei wie das Gewitter, das die Luft reinigt.
Er sei wie das Wasser, das nach der Dürre neue Blüten sprossen lässt.
Gott, Herr unseres Lebens und unserer Geschichte:
Dein Geist zeige uns, dass der alte Auftrag,
den Du uns gegeben hast,
auch in diesen neuen Zeiten
die Welt noch verändern kann.

Hermann Schalück

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